Gefördert durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg hat das Business Innovation Engineering Center (BIEC) als Entwicklungs- und Transferzentrum das Ziel, die digitalen Transformations- und Innovationsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Baden-Württemberg zu steigern. Ziel ist es, dem Mittelstand ein Forum zu bieten, um sich basierend auf ihrer eigenen Situation gezielt zu unterschiedlichen Softwarebausteinen und Lösungen zu informieren und um neue Handlungsoptionen zu erschließen.

Mit diesem Leitfaden sprechen wir Unternehmen an, die Plattformen für Mitarbeiter (z.B. zur Wissensvermittlung, Organisation oder dem Informationsaustausch) und Kunden haben oder planen. Der Leitfaden gibt einen verständlichen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Gamification und den Erfahrungen aus der Praxis. Er beantwortet die Fragen nach den Gestaltungsmitteln und den Spieleprinzipien, um zur Nutzung einer Plattform zu motivieren, Stress zu vermeiden und eine positive UX zu erreichen.

Version: 27.04.2021

Einführung in Gamification

Gamification bezeichnet den methodischen Einsatz von Spielemechanismen in einem nicht-spielerischen Kontext wodurch Gefühle wie Freude und Wohlbefinden, welche beim Spielen erlebt werden, auf einen anderen Anwendungskontext übertragen werden . Dabei werden die Anwendungen gezielt mit spielerischen Elementen angereichert, um z.B. das Teamgefühl zu stärken, die Motivation und Konzentration zu erhöhen, Monotonie zu vermeiden, Lernen und Weiterbildung spannender zu gestalten.

Gamification ergänzt die klassischen Arbeitsgestaltungs- Usability- und UX-Methoden in dem sie besonders psychischen Belastungen entgegenwirken kann z.B. durch Wertschätzung, ein Erfolgsgefühl durch die Visualisierung von Fortschritt wenn kein physisches Ergebnis vorliegt, oder positiven Herausforderungen z.B. in Leerlaufzeiten. Gamification seine Wirkung dann entfalten, wenn es eine für den ausführenden relevante Aufgabe unterstützt und ein spielerisches Gesamterlebnis geschaffen wird, dass den intrinsischen Wert der Tätigkeit hervorhebt.

Des Weiteren lässt sich durch die spielerischen Elemente eine intensivere Kunden- und Partnerbindung erzielen. Der transparente Wettbewerb, das Sammeln von Erfolgen oder Erreichen eines bestimmten Status für mehr Umsatz sorgen, bieten Sicherheit und ermöglichen es mehr von den Kunden zu erfahren.

Usability & UX + Gamification

Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass Gamification einen deutlichen positiven Effekt auf die Arbeit haben kann. Dabei ist es wichtig, dass nutzerzentriert vorgegangen wird – nur so wird ein echter Mehrwert mit guter Usability und positiver User Experience daraus.

Die Untersuchung von Gamification an einem Leitstand zur Überwachung einer automatisierten und vernetzten Produktion ergab, dass die Attraktivität der Arbeit steigt . Die Probanden bestätigten das stärkere Erleben von Freude, Kompetenz und Autonomie. Psychischen Beanspruchungsfolgen konnten reduziert werden. Die Überwachungsleistung konnte zwar nicht signifikant gesteigert werden aber hat keinen negativen Einfluss auf die Produktion und die Leistung. Bedenken, Gamification könnte von den eigentlichen Aufgaben ablenken, wurden damit ausgeräumt.

Der Human-Centered Designprozess ist nein alter Hut?
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Projektplan

Neben der Planung des Vorgehens beschreibt der Human-Centered Design-Prozess vier grundlegende Phasen, die den Kern der Vorgehensweise darstellen: Verständnis und Definition
des Nutzungskontextes (Analyse), Spezifikation der Nutzeranforderungen (Anforderungen), Entwicklung von Gestaltungslösungen (Design) und Evaluation der Gestaltungslösungen
(Evaluation). Die Phasen werden immer wieder durchlaufen, um das Ergebnis schrittweise zu optimieren.

Hilfreiche Norm

DIN EN ISO 9241-210 ist Teil einer umfangreichen Normenreihe zum Thema Ergonomie der Mensch-System-Interaktion. Darin werden ergonomische Anforderungen an unterschiedliche Bereiche wie zum Beispiel Software, Eingabegeräte und Arbeitsplätze festgelegt.

0. Zielformulierung des Projekts

In der Regel ist die Entscheidung für Gamification Problembezogen. Das heißt, es wird ein Problemfeld erkannt, für dessen Lösung Gamification als (Teil der) Lösungsstrategie identifiziert wird. Deshalb ist es anfangs wichtig, diese Situation zu betrachten und daraus ein Ziel zu formulieren. Diese erste Zielfomulierung stellt die möglichen postiven Effekte dar. Das Ziel entwickelt sich während des Prozesses weiter. Denn erst die nachfolgenden Anaysen ermöglichen es, die genauen Problemquellen zu erkennen und detailliere Ziele abzuleiten. Doch selbst, wenn die sich das Ziel während des Prozesses in eine komplett andere, unerwartete Richtung ändert, ist die anfängliche Formulierung sinnvoll, denn sie dient als Startpunkt für den iterativen Prozess.

1. Nutzer- & Kontextanalyse

  1. Das Grundelement für die weiteren Schritte bildet die Nutzer- und Kontextanalyse. Das Ziel dieser Analysephase ist es, die Abläufe und die Arbeitsumgebung methodisch zu erfassen und den Nutzer kennen zu lernen. Im Idealfall wird die tatsächliche Situation am Ort des Geschehens erfasst. Zum einen werden die Beteiligten in ihrer Motivation und ihrem Verhalten betrachtet sowie deren Bedürfnisse genau erfragt und definiert. Hierfür können verschiedene Mittel, wie Tonaufnahmen, Fotos und Videos, verwendet werden. Aspekte, die man durch reine Beobachtung nicht feststellen kann, können durch gezielte Interviews erfragt werden. Außerdem können Umfragen dabei helfen, ein breit gefächertes Gesamtbild zu erhalten und so einen besseren Überblick zu bekommen. Gezieltere und detailliertere Informationen kann man beispielsweise durch Fokusgruppen erhalten.

    Zum anderen wird auch das Umfeld der Nutzer untersucht. Mithilfe der gleichen Methoden sollen Informationen über die technische Umgebung und ein besseres Verständnis für die Prozesse gewonnen werden. Auch die einzelnen Arbeitsschritte müssen genau betrachtet werden. Die Informationen über die Motivation, das Verhalten sowie die Bedürfnisse sind maßgebend für die spätere Wahl der Module und Elemente, sowie auch für das Gesamtkonzept.

    Aus den gewonnenen Informationen können Modelle – z.B. Personas (Beschreibung, fiktiver Personen, die die Chartereigenschaften der typischen Nutzergruppen in sich vereinen) erstellt werden. Sie helfen dabei die Zielgruppe greifbar zu machen und ihr ein Gesicht zu geben.

2. Spezifikation

Um dem Konzept näher zu kommen, werden aufbauend auf der Analyse Anforderungen formuliert. Dazu gehört das Diskutieren und Interpretieren der gesammelten Daten und Beschreibungen durch alle Beteiligte im Team. Es wird festgelegt, was die wichtigsten Nutzeranforderungen sind. Es werden sowohl Anforderungen für die (grafische) Benutzeroberfläche, als auch Anforderungen an die Daten und die Hard- und Software festgelegt. Die Personas Methode hilft in dieser Phase, den Nutzer in den Mittelpunkt der Gestaltung zu setzen.

Sind die Anforderungen definiert, werden die Opportunity Areas formuliert, um klarzustellen, was an der aktuellen Situation verbessert werden kann. Opportunity Areas sind Bereiche, die verbessert werden können und dadurch ihre Verbesserung einen Schritt zur Erreichung des gesetzten Ziels beitragen können. Die Bereiche sowie die Frage, welche Aspekte zu einer konkreten Verbesserung führen können, müssen in diesem Schritt genau definiert und erfasst werden. Nur so lassen sich hilfreiche und reale Lösungsansätze gestalten

Bevor erste Konzepte erarbeitet werden können, müssen die Ziele möglichst genau definiert werden. Dabei hilft z.B. die SMART-Methode. Es geht darum, die alle Aspekte der Ziels zu definieren: Ein Ziel soll spezifisch, messbar und erreichbar (engl. achievable) sowie realistisch und terminiert sein.

3. Design und Implementierung

Das Design bezieht sich sowohl auf die visuelle Gestaltung als auch auf die Strukturierung und Modellierung des Gamification-Systems. Ein wesentlicher Bestandteil ist hier die Auswahl von passenden Gamification-Elementen, die möglichst effektiv die Bedürfnisse der Nutzer erfüllen.

Bevor eine Entscheidung getroffen oder etwas implementiert wird, können die verschiedenen Möglichkeiten mit ihren Vor-und Nachteilen miteinander verglichen werden. Das Einschlagen des erstbesten Lösungsweges kann zum Schluss sehr viel Zeit und Nerven kosten. Deshalb lautet die Faustregel in dieser Phase:

Drei Varianten, eine Lösung. Bevor eine Lösung gewählt wird, sollte überlegt werden, welche zwei Alternativen es gibt.

Tipp:

Die unterschiedlichen Mitglieder im Team sprechen unterschedliche Sprachen. Besonders zwishen den Disziplinen kann es zu Missverständnisen kommen. Der Begriff »Funktion« z.B. zwischen Designern und Entwicklern: Während eine Funktion für Entwickler Teile des Programmcodes wiederverwendbar gestaltet, ist eine Funktion für Designer ein Feature der Bedienoberfläche. Um eine Funktion (Designer) zu ermöglichen, können so z.B. mehrere Funktionen (Entwickler) im Programm notwendig sein. Umso wichtiger ist es, dass beide Spezialisten miteinander reden und der Informationsfluss nicht nur in eine Richtung geht.

4. Evaluation

  1. Ein wichtiger Bestandteil ist die Reflektion der bisherigen Ideen, Schritte und Ergebnisse. Das kann bereits in einem sehr frühen Stadium des Projekts beginnen ,so können Überlegungen überprüft und interativ verbessert werden. Prototypisch (beispielsweise mit Papierprototypen oder einfachen Klick-Dummies) soll hierbei getestet werden, ob die Grundstruktur funktionsfähig ist und ob mit dem Gamificationsystem das definierte Ziel erreicht werden kann. Wichtig ist in diesem Schritt auch ein intensiver Austausch zwischen den beteiligten Personen, da sowohl das Konzept mit seinem Gamificationsystem als auch die dahintersteckende Technik miteinander harmonieren und funktionieren müssen.
  2. Vor der tatsächlichen Einführung des Projekts ist es sehr wichtig, eine genaue Evaluation durchzuführen. Können die vorhandenen Probleme mit den gewählten Gamification-Elementen verbessert und gelöst werden? Werden dabei die verschiedenen Bedürfnisse der Nutzer erfüllt und kommen diese mit der Anwendung klar? Entspricht das Ergebnis den formulierten Zielen? Werden die Nutzer zu den gewünschten Handlungen motiviert? Verbessern sich anfangs definierte Problembereiche? Sind die gewählten Elemente auch in der Praxis sinnvoll und funktionsfähig?

5. Einführung

Eine erfolgreiche Einführung hängt u.a. davon ob, wie gut die Nutzenden einbezogen werden. Dies kann bspw. durch eine Peergroup unterstützt werden. Diese Gruppe kann Beispielsweise aus den Personen bestehen die bei der Analyse oder Evaluation beteiligt waren, ein hohes technisches Verständnis haben oder besonders motivierend im Team sind. Diese Personen lernen das System kennen, können gebündelt Feedback geben und helfen somit dabei, die letzten Fallstricke zu beseitigen.

Sobald alles optimiert wurde, kann das Ergebnis bei allen Nutzern eingeführt werden. Anfängliche Unsicherheiten oder Fragen können durch die Vorreitergruppe gelöst werden. Sobald die Grundfunktionen akzeptiert und eingelernt sind, können die zusätzlichen Aspekte ergänzt werden.

Gamification Lösungspakete

Die Praxis zeigt, dass die Nutzung von Gamification-Systemen auf freiwilliger Basis erfolgen muss. Es sind zusätzliche Inhalte die die Qualität der Arbeit verbessern oder den Nutzenden einen zusätzlichen Kanal geben, sich zu verbessern.

“In every job that must be done, there is an element of fun. You find the fun and ‘snap’! The job’s a game.”

Aus: Mary Poppins

Gamification kann dann wirken, wenn es um eine sinnvolle Tätigkeit geht. Außerdem zeigen Studien, dass eine reine extrinsische Motivation nicht sinnvoll ist und sogar negative Effekte haben kann. Viel wichtiger ist es die wertschöpfende Tätigkeit an sich spielerischer zu gestalten und somit die intrinsische Motivation zu bestärken.

Die Lösungspakete betrachten mögliche Ziele und können in Kombination eingesetzt werden.

Lösungen für interne Problembereiche

Lösungen für externe Problembereiche

Quellen

Spahrbier, M. (2020). Motivierende Leitstandgestaltung: Unterstützung von Überwachungstätigkeiten durch Gamification. https://doi.org/10.14279/DEPOSITONCE-10658
Deterding, S. (2011). Situated motivational affordances of game elements: a conceptual model. In Gamification: Using Game Design Elements in Non-Gaming Contexts, a workshop at CHI.
Deterding, S., Dixon, D., Khaled, R., & Nacke, L. (2011). From game design elements to gamefulness: defining gamification. Proceedings of the 15th International Academic MindTrek Conference: Envisioning Future Media Environments, 9–15.
DIN EN ISO 9241-210:2020-03, Ergonomie der Mensch-System-Interaktion_- Teil_210: Menschzentrierte Gestaltung interaktiver Systeme (ISO_9241-210:2019); Deutsche Fassung EN_ISO_9241-210:2019. (n.d.). Beuth Verlag GmbH. https://doi.org/10.31030/3104744
Huotari, K., & Hamari, J. (2012). Defining gamification: a service marketing perspective. Proceeding of the 16th International Academic MindTrek Conference, 17–22.